südschweden 2011.


Tag 1. Dresden - Rostock - Trelleborg.

Dienstag, 30.08.2011



Es ist drei Uhr in der Früh und ich liege mit Selbstzweifeln hellwach im Bett. In knapp drei Stunden fährt mein Zug Richtung Schweden. Ab heute bist du auf dich gestellt. hallt es in meinem Kopf und ich spiele mit dem Gedanken, einfach liegen zu bleiben und den Urlaub allein zu verschlafen.

Dennoch stehe ich auf, würge mir das letzte Stückchen Brot in den von Angstvorstellungen nervös geplagten Magen, putze noch Zähne und fahre zum Bahnhof. Es ist kalt. Ich friere. Im Zug wieder die Frage, die mich schon die Nacht nicht schlafen lassen hat. Schaffe ich das? Zwei Wochen. Allein. Mit Zelt. In der Wildnis. Horrorfilme laufen ab. Ab heute bist du auf dich gestellt, dröhnt es irgendwo aus mir. -

Im Zug nach Rostock: eine Senioren-Radlergruppe auf dem Weg von Berlin nach Waren (Müritz). Lacoste-Pullis, Angebergespräche über gefahrene Kilometer (1030. So viel fahre ich ja nicht mal mit dem Auto im Jahr!). - 

In Rostock dann eine böse (tjaja, typisch DB höre ich die Leute schon schreien) Überraschung. Die Tür am Fahrradabteil ist auf der linken Seite defekt und der Ausstieg ist - wie sollte es anders sein - links. Also. Alles abpacken, der freundlichen DB-Reinigungskraft in die Hand drücken und das Rad durch den ganzen Wagen schlängeln. Kostet geschlagene fünfzehn Minuten. Nunja. Habe Zeit. Dreieinhalb Stunden bist zur Fährabfahrt. 

In Rostock-Lichtenhagen denke ich kurz an Gorbitz, muss lachen und kotzen zugleich, NPD-Werbung, Plattenbauten, ich muss weg.

Endlich. Fährhafen Rostock. Ticket gekauft - leichter Regen. Mir ist kalt. Eine Gruppe Radfahrstudenten fragt, ob ich den Berlin-Kopenhagen-Radweg allein fahre. Nein, sage ich, ich habe kein festes Ziel. Schweden und dann weiter. Skeptische Blicke. Erfolg gewünscht, eingecheckt, hingesetzt, auf den Hafen gestarrt. Ab heute bist du auf dich gestellt, verdammt noch mal.

Die Fährfahrt verbringe ich teils schlafend, teils traumverloren ins Meer starrend. Ab und zu gehe ich an Deck, lehne mich gegen den Wind. Die Sonne scheint, die Wellen wogen, ich beginne zu vergessen, weswegen ich drei Uhr panisch wach lag.

Ich sehe Trelleborg am Horizont. Als ich die Fähre verlasse, weht mir ein lauwarmer Wind um die Ohren. Ich sehe die vertrauten Gebäude, McDonalds ist immer noch da. Ohne es sofort zu bemerken, läuft mir eine Träne über die Wange.

Im Hostel erwartet man mich schon. Das Zimmer ist klein, aber ausreichend. Ab morgen wird es sowieso enger.

Ich bin froh, dass ich hier bin. Jetzt endlich doch.

30.08.11 22:28

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Tag 2. Trelleborg - Ystad. 

Mittwoch, 31.08.2011



Die Sonne scheint, als ich im Frühstückszimmer des Hostels sitze. Im Fernsehen prognostiziert der Wettermann ebendies noch in den nächsten Tagen. Niederschlag maximal zwei Millimeter. Vielleicht ist er ja in Schweden, der Sommer.

Heutiges und sowieso einziges richtiges "Ziel" der Reise: Ystad, Kurt Wallanders Heimat- & Arbeitsort. Ich fahre am Meer entlang, jeder zweite grüßt mich freundlich. Mir wird bewusst, wie sehr ich es bereut hätte, wäre ich im tristen Deutschland geblieben. Fahre weiter durch ein lila leuchtendes Kornblumenfeld. Dann schon liegt Smygehamn, Schwedens südlichster Punkt hinter mir. Habe am Hafen gesessen, das Wasser zerschellt an den Steinklippen. 

Kurz vor Ystad halte ich ein weiteres Mal am Strand, schaue ins Unendliche. Ganz hinten sieht man schon Ystad, zumindest das Industriegebiet. Ystads Ortseingang soll schon weniger Meter später kommen.

In Ystad angekommen, besorge ich mir Karten für die Region. Beschließe, die nächsten zwei drei Tage mein Zelt nahe Wallanders Stadt aufzustellen. Kurz hinter der Stadt liegt Sandskogens Campingplatz. Dort checke ich ein. Der Gedanke, allein im Wald zu zelten, die tösende Stadt kurz hinter mir, gefällt mir nicht. Auf dem Campingplatz sind Menschen, es gibt Wasser und Möglichkeit, ohne Gepäck in die umliegenden Dörfer zu radeln - das alles spricht für den Aufenthalt hier.

Das Zelt steht, um mich herum zelten komischerweise auch Deutsche. Ein Ur-Sachse, so klingt es zumindest. Diese Tatsache spricht gegen den Campingplatz. Aber: das Zelt steht und ich habe keine Lust, es woanders noch einmal aufzubauen. Bin froh, dass es überhaupt steht.

Fahre zurück in die Stadt. Gehe bei Maxburger essen. Auf dem Rückweg leichter Nieselregen. Hier kommen also die maximalen zwei Millimeter. Kaufe bei Willy:s ein; und wieder überwältigt mich die Schönheit eines schwedischen Supermarktes, nicht zu vergleichen mit gewissen Kuchenbuden daheim. 

Wieder im Zelt beschließe ich - nachdem ich ein paar Runden durch Ystad gefahren bin - den Tag hier enden zu lassen. Bald wird es dunkel. Habe Essen, habe Musik, der Regen hat aufgehört. Die erste Nacht im Zelt kann kommen. Wenn die Deutschen nebenan zu laut sind, habe ich Oropax im Gepäck.

31.08.20 19:42 Uhr

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Tag 3. Ystad.

Donnerstag, 01.09.2011




Die Nacht war nicht schön. Der Schlafsack hält nicht, was er verspricht. Anfangs schwitze ich. Ziehe Hose und Pullover aus. Kurz nach drei Uhr wache ich auf. Mir ist kalt. Ziehe Hose und Pullover wieder an. Gegen sechs Uhr bin ich wieder wach. Es ist wieder warm. Genervt beschließe ich einfach weiterzuschlafen. Der Lärm der LKWs dringt ins Zelt. Ein paar Stunden später, es ist kurz vor zehn, stehe ich schließlich auf. Fühle mich gerädert. Der Kopf, die Beine, alles tut weh. Die Zeltwände sind feucht, von innen mehr als von außen. Dauerventilation habe ich mir anders vorgestellt. Krieche aus dem Zelt, will versuchen, Kaffee zu besorgen. Rezeption sowie Restaurant als auch Campingshop haben geschlossen. Gibt es halt Wasser. Schöner Morgen.

Gegen 11.30 Uhr breche ich gen Ystad auf. Schon nach kurzer Fahrt am Meer bleibe ich stehen und setze mich auf eine Bank in die Sonne. Es ist warm, ich sitze im T-Shirt. Sobald jedoch auch nur eine einzelne kleine Wolke die Sonne verdunkelt, wird es kalt. Dennoch: der letzte Rest Sommer ist hier, denke ich.

In der Stadt stelle ich das Rad ab und gehe zu Fuß. Schüler streifen durch die Stadt. Trinke einen Kaffee, lese Kafka; versuche zu erraten, wer aus Deutschland kommt. Oft liege ich richtig, so auch bei dem grimmigen Vater samt Bierbauch. Esch gibbt jezz kein Eis!! schreit er seine Tochter an. 

Beschließe, ins Kunstmuseum zu gehen. Schaue mir Werke von Michael Johansson an. Er bastelt tetrisartige Collagen aus Fundstücken. Schwer zu beschreiben, ohne es zu sehen. Surreal-nostalgisch das Ganze. Schaue mir noch verschiedene Gemälde von Gerhard Wilborg an, ein regionaler Maler aus Südskåne. In einem anderen Raum sehe ich das verstörendste und schönste Bild der Ausstellung. Zwei Jungen, schwarz in schwarz liegen sie im Gras. Riesengroß hängt es da, böse Blicke, die einen verfolgen. Je weiter ich auch weggehe, es scheint mich zu verfolgen. Im Foyer angekommen, kaufe ich mir eine Postkarte mit dem Motiv.

Vorm Kunstmuseum kaufe ich mir eine Falafelrulle, gehe bei Willy:s Ramlösa-Wasser kaufen und radel noch ein wenig durch die Stadt. Fahre durch die Mariagatan, die Straße, in der Wallander wohnt. Auch am Polizeipräsidium komme ich vorbei. Vieles erinnert hier an die Wallander-Filme. Fahre schließlich durchs Regement-Viertel, dort befinden sich die Ystad-Filmstudios.

Gegen späten Nachmittag fahre ich zum Zelt zurück. Die Kopfschmerzen sind stärker geworden. Ruhe mich kurz aus. Als die Sonne langsam am Horizont verschwindet, wird es merklich kälter. Habe etwas Sorge vor der Nacht. Spiele mit dem Gedanken, die nächsten Nächste in Hostels am Wegesrand zu verbringen. Die Ausrüstung ist suboptimal.

Mache noch einen Spaziergang am Strand. Ohne Schal und dicke Jacke verlasse ich nicht das Zelt. Mich fröstelst es beim Anblick der kurzärmligen Radler, die mir entgegen kommen. 

Heute fehlen mir zum ersten Mal Menschen. Ich weiß auch nicht wieso.

Zurück am Zeltplatz sehe ich, wie ein Auto mit PIR-Kennzeichen neben meinem Zelt steht und auspackt. Mir wird schlecht, als ich sie reden höre. Nicht mal in Ystad ist man sicher. Morgen geht es weiter Richtung Simrishamn. Werde den Strand-Waldweg nehmen statt der Straße. Hoffe, dass ich die Nacht weniger oft aufwache und nicht mehr friere. Lasse Hose und Pullover an, die Füße umwickele ich zusätzlich mit einem Pullover.

01.09.11 20:26 Uhr

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Tag 4. Ystad - Simrishamn.

Freitag 02.09.2011



Die Nacht war die Hölle. Trage zwei Hosen und friere trotzdem. Drei Grad sind es, lese ich am nächsten Tag. Ziehe alles an, was geht. Am Morgen scheint die Sonne ins Zelt. Es ist brütend heiß. Beschließe, auf Hostels umzusteigen. Wird zwar teurer, doch es ist es nicht wert, bei drei Grad in der Nacht zu frieren, nicht schlafen zu können und am nächsten Tag kaputt aufzubrechen. Ich frühstücke, verkippe den Kaffee, ärger mich kurz und packe alles zusammen. Im strahlenden Sonnenschein breche ich gen Simrishamn auf.

Die Fahrt führt erst am Meer entlang und schlängelt sich schließlich durchs Landesinnere. Ich fahre endlos lang durch Nichts. Weit und breit kein Mensch. Ab und zu hört und sieht man einen Traktor auf einem der unzähligen Felder. Sonst ist es still. Außer dem Rauschen der Bäume und dem Gesang der Vögel ist nichts zu hören. Friedlich ist das richtige Wort. Keine Wolke ist am Himmel.

Der Radweg verlässt die festen Straßen und führt über eine Straße, die eigentlich keine ist. Schotterpisten als Verbindungspfade zwischen zwei Dörfern sind hier nicht unüblich. Außer Traktoren und anderen landwirtschaftlichen Fahrzeugen fährt hier eh nichts. Doch: ein Auto aus Göttingen, ohne Licht. In Bollerup staune ich über den lokalen Busfahrplan. Zwei Abfahren Montag bis Freitag, eine um sechs Uhr dreißig, eine um acht Uhr. Danach ist Ruhe. Weiß gar nicht, was sich manche ostsächsische Dörfer so aufregen.

Am frühen Nachmittag erreiche ich Simrishamn. Fahre zum Hafen, informiere mich im Touristenbüro über Übernachtungsmöglichkeiten. Steuere das STF Vandrarhem im Westen der Stadt an. Als ich ankomme und bemerke, dass die Rezeption erst am 17 Uhr geöffnet ist, beschließe ich, zum Hafen zurückzufahren. Vorher rufe ich bei der angeschlagenen Nummer an und buche ein Zimmer, das letzte freie soll es sein; gut, dass ich anrief und nicht auf gut Glück 17 Uhr wiederkomme.

Unten am Hafen kaufe ich mir was zum Essen, setze mich auf eine Bank und lasse die Zeit vergehen. Ich nicke wohl ein wenig weg und verbrenne mir in der Nachmittagssonne die Nase. Sieht gut aus, wirklich. Zurück am Hostel erwartet man mich schon. Ich checke ein, erzähle, dass ich eigentlich auf Campingtour bin, aber wegen der klirrenden Nachtkälte ab sofort Hostels bevorzuge. Überlege mir, Zelt, Schlafsack und Isomatte nach Deutschland zurückzusenden. Die Hostelinhaberin bietet mir an, das Gepäck eine Weile aufzubewahren. Überlege mir, das Angebot anzunehmen, müsste dann nur auf dem Rückweg zwingend in Simrishamn vorbeikommen. Das würde mich natürlich einschränken, weswegen ich später am Abend überlege, da Gepäck doch mitzunehmen und auf der nächsten Postfiliale nach dem Preis für ein Paket zu fragen.

Gehe am Abend noch ein wenig durch die Stadt, sitze lange am Meer. Als es kalt wird - und das wird es hier oben plötzlich und schnell - gehe ich zum Hostel zurück. Im Fernsehen läuft Family Guy. Morgen geht es weiter Richtung Kivik und Åhus. Heute ist vorbei.

02.09.11 21:37 Uhr

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Tag 5. Simrishamn - Kivik - Brösarp - Degeberga - Åhus.

Samstag, 03.09.2011



Die Nacht war sehr schön. Gutes Gefühl, wieder in einem Bett zu schlafen. Nach dem Frühstück breche ich bei bewölktem Himmel auf. Es sieht nach Regen aus, sehr sogar. Dennoch soll es den ganzen Tag trocken bleiben. Bis Kivik geht es schnell, dort Mittagspause gemacht. Doch dann wird es purer Sport. Der Weg nach Brösarp ist ein einziges Bergauf-Bergab. Und das an einer viel befahrenen Landstraße. Zum Glück ist Samstagnachmittag. Ab Brösarp fahre ich unzählige Kilometer geradeaus über Schotterpiste. Einmal biege ich falsch ab und muss einen steilen Hang wieder hoch. In Degeberga verlasse ich die Schotterpiste. Ab hier habe ich die restlichen fünfzehn Kilometer bis Åhus Gegenwind. Mich verlässt die Lust und auch die Kraft.

Kurz nach vier komme ich in Åhus an. Im Hostel ist noch ein Zimmer frei, jedoch erst in einer Stunde. Ich esse auf dem Stortorget ein großes Eis und setze mich dann ein Weilchen an den Hafen. Später checke ich ein, beziehe das Zimmer und gehe noch etwas durch die Stadt. Habe mir wohl durch den Gegenwind eine Bindehautentzündung zugezogen. Creme das Auge ein. Zum Glück gibt es Sonnenbrillen für den Tag. Weh tut es trotzdem. Beschließe, morgen nach Kristianstad zu fahren und von dort aus mit dem Zug nach Malmö. Noch mehr Gegenwind tut dem Auge und mir nicht gut. Ja, ich bin etwas geschafft und froh im Bett liegen zu können. 

03.09.11. 20:55 Uhr

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Tag 6. Åhus - Kristianstad - Malmö.

Sonntag, 04.09.2011



Als ich aufwache und mein angeschwollenes Auge betrachte, muss ich fast schon lachen. Da fährt man einmal im Jahr mehr mit dem Rad als von der Uni nach Hause und dann das. Sieht schick aus. Beschließe, in Kristianstad einen Arzt aufzusuchen.

Nach dem Frühstück, dass außerordentlich gut und viel war, fahre ich also los. Es ist kurz vor zehn, bis auf mein Auge bin ich fit, die elf Stunden Schlaf letzte Nacht waren genau das Richtige.

Der Weg nach Kristianstad ist schnell gefahren, knapp über zwanzig Kilometer. Ab und zu begegnen mir Radler, man grüßt sich. Ich stelle mir vor, was ich solchen Situationen in Deutschland geschehen würde. Skeptische Blicke ob des voll bepackten Rades?

In Kristianstad fahre ich also zuerst zum Central Sjukhuset. Verlaufe mich in dem riesigen, jedoch komplett Patienten- und Ärzteleeren Gebäudes. Dann treffe ich eine Ärztin, sie schickt mich zum Akutmottagning. Dort ziehe ich eine Nummer und wart. Ich bin dran; frage die Krankenschwester auf schwedisch, ob es okay ist, wenn wir englisch sprechen. Die Worte für geschwollen und Entzündung etc. fehlen mir im schwedischen Grundwortschatz noch dringend.

Nachdem ich ihr mein Problem geschildert habe, mein sie mich ins zwei Kilometer entfernte Näsby schicken zu müssen. We don't take care of eyes here, so ihre Aussage. Komisch. Ich dachte, dass es in einem Riesengebäude namens Central Sjukhuset einen Augenarzt geben müsste. Aber nun gut. Ich habe ja Zeit, also radle ich nach Näsby. Und dort angekommen habe ich das schöne Bilderbuch-Schweden verlassen. Näsby ist eine Mischung aus Chemnitz und Malmö-Rosengård. Plattenbauten, Prollschweden, Frauen mit mehr Haarfarben als das Farbspektrum hergibt und Osteuropäer in getunten Autos. Hier grüßt auch keiner, hier kommen die skeptischen Blicke.

Ich komme im Ärztehaus Näsby an. Das System hier ist anders. Man zieht eine Nummer, um einen Vorstellungstermin beim Rådgivare zu bekommen, danach geht man in den nächsten Warteraum und wartet auf den einen Arzt, der an diesem Sonntag da ist. Aber gut, ich will mich nicht beschweren, finde mal in Deutschland sonntags einen Arzt...

Als jedoch nach dreißig Minuten keine neue Nummer am Display erschienen ist, beschließe ich, zu gehen. Wird schon heilen. Schließlich bin ich topfit und die Selbstheilungskräfte meines Körpers dementsprechend enorm. Hahaha.

Fahre zurück in die Stadt, direkt zum Bahnhof. Kaufe mir und dem Rad ein Ticket bis Malmö und steige ein. Mit fünfzehn Minuten Verspätung verlassen wir kurz vor zwei den Bahnhof Kristianstad.

Eine Stunde später schon sind wir in Malmö. Seit Dezember 2010 halten wir unterirdisch, der Citytunnel ist fertig. Später stelle ich fest, dass ich bis zur Station Triangeln hätte fahren können, die liegt direkt neben dem Hostel, in das ich nun schon zum zweiten Mal einchecke. Die Rezeptionsfrau ist dieselbe wie letztes Jahr. Ich checke ein und mir ist, als erkennt sie mich wieder. Vielleicht ist das auch nur Einbildung. Ich nehme das teuerste Zimmer, das es gibt. Dusche und WC inklusive, Frühstück auch. Jetzt, da ich weiß, dass ich in zwei Tagen wieder heimfahre, kann ich das Geld auch auf den Kopf hauen. Ich habs ja.

Internet habe ich hier auch, achtundsechzig neue Mails, keine davon mit extremer Wichtigkeit. Acht Millionen neue Facebookaktivitäten, keine davon mit Bedeutung. Gehe noch ein wenig durch die Stadt, laufe raus zum Westhafen, wo schon wieder ein neuer futuristischer Stadtteil im Entstehen ist. Die hören niemals auf, die Stadt zu vergrößern. Im Fluss schwimmt ein Haus, so ein rotes Schwedenhäuschen. Direkt dahinter die Uni-Bibliothek, ein großer grauer Glasbau. Kontraste, oh Kontraste. Kunst ist das, da bin ich mir sicher. 

Auf dem Weg zurück sehe ich seit Simrishamn den zweiten Flaschensammler. Seit Schweden Dosenpfand eingeführt hat und die restlichen Pfandbeträge erhöht hat, lohnt sich das Business wohl auch hier.

Kaufe mir im Hemköp, der übrigens alla dagar 7-23 offen hat, noch ein Wienerbröd und gehe zurück ins Hostel. Dem Auge geht es schon besser, glaube ich. Jedenfalls sieht es nicht mehr so wahnsinnig böse aus wie heute morgen.

Morgen werde ich dann einen obligatorischen Malmö-Stadttag einlegen, muss noch die restlichen Postkarten schreiben und senden. Am Abend geht es dann Richtung Trelleborg. Dienstag acht Uhr geht die Fähre zurück nach Hause.

04.09.11 20:43 Uhr

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Tag 7. Malmö - Trelleborg.

Montag, 05.09.2011



Nach einer Luxusnacht stelle ich fest, dass es in Strömen regnet. Malmö ist versteckt unter einem grauen Schleier. Mein Auge sieht wieder rot aus, aber nur die ersten Stunden des Tages. Nach dem Frühstück will ich eigentlich mit dem Rad durch die Stadt fahren. Das durchkreuzt der unsägliche Regen. So sitze ich kurz im Foyer des Hostels, lese etwas Kafka. Als sich jedoch zwei Schweizer an den Nebentisch setzen und angestrengt und vor allem laut darüber diskutieren, warum Schweden so "verfickt teuer" ist, ist es endgültig vorbei mit der Geduld und der Ruhe zum lesen. Gehe ich eben im Regen los, ohne Rad. Kaum aus dem Haus sind meine Socken komplett durchnässt. Stimmt. Neue Schuhe könnte ich gebrauchen. Schlendere durchs Triangeln-Shoppingcenter. Kaufe keine Schuhe, dafür ein Shirt und einen Regenschirm. Als ich raus komme, nieselt es nur noch ganz leicht. Den Regenschirm hätte ich mir sparen können.

Gehe durch die Stadt. Will eigentlich mal am Malmö Moderna Museet vorbeischauen. Gehe aber in die falsche Richtung. War doch schon wieder ein Jahr nicht mehr hier. Auch egal, das MMM hat montags eh geschlossen. Weg umsonst gemacht. Kaufe mir gebratene Nudeln und setze mich in den Park nahe dem Hostel. Die Menschen, die vorbeikommen, haben entweder einen Hund oder einen Kinderwagen dabei.

Zurück im Hostel schreibe ich die letzten Postkarten, gehe nochmal online, schaue mir den Weg Richtung Trelleborg an und mache mich auf den Weg. Verfahre mich vollends. Mitten in Rosengård. Unbehagen. Jugendliche auf Mopeds fahren brüllend durchs Ghetto. Das ist der Teil Malmös, in dem die Angst wohnt, das ProhlisGorbitz Malmös. Näsby in schlimm. Finde nach einer halben Stunde schönstem Plattenbau-Sozialromantikpanorama einen Ausweg. Stelle fest, dass ich im Kreis ein mal durch Rosengård durchgefahren bin. Diese Erfahrung gehört zu den negativen Erinnerungen. Nungut. Weiter gehts.

Als ich aus Malmö herausfahre, beginnt es erneut zu regnen. Der Karstadt-Regenponcho taugt allenfalls zum Gepäck trocken halten. Zum Radfahren bei Wind ist er definitiv nicht zu gebrauchen. Fahre relativ unspektakulär durch die Gegend. Auf einmal endet der Radweg und ich finde mich auf einer vielbefahrenen Landstraße im Montagnachmittagsberufsverkehr wieder. Im Sekundentakt rauschen Autos vorbei. Kann es kaum erwarten, bis der Radweg einsetzt. Das tut er dann auch, aber nur um kurze Zeit später in einer 90 km/h Straße zu enden. Verkehr wie vorher, nur schneller. Ein LKW bringt mich fast aus der Bahn. Dem Luftzug ist mein voll bepacktes Rad nicht gerüstet. Biege an der nächsten möglichen Stelle ab und fahre einen kleinen Umweg über Dörfer nach Trelleborg. Gegen sechs komme ich am Hostel an. Checke ein und fahre zum Hafen. Kaufe das Fährticket für morgen, erledige das größtenteils auf schwedisch. Gehe im Maxi-ICA sündhaft teuer für die Fahrt und für zuhause einkaufen und fahre schwer bepackt zum Hostel zurück. Verstaue alles, esse zum ersten Mal dieses Mal in Schweden Köttbullar, allerdings kalt, deswegen nur halb so gut.

Werde mich demnächst auch hinlegen. Fünf Uhr Dreißig geht der Wecker. Die letzte Nacht in Schweden, mit einem lachenden und einem weinenden Auge sitze ich hier. Schön wars. Und wäre es nicht so kalt gewesen, hätte ich campen können, hätte ich nicht Unmengen Geld in Hostels lassen müssen, so wäre ich wohl auch noch geblieben. Dennoch... ein wenig freue ich mich auf zuhause.

05.09.2011 21:10 Uhr

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Tag 8. Trelleborg - Rostock - Dresden.

Dienstag, 06.09.2011



Einschlafen ist schwierig. Das Hostel erscheint mir noch hellhöriger als beim ersten Mal hier. Der Typ über mir zieht sich schon die dritte Line in zwei Stunden. Zumindest hört es sich so an. Vielleicht hat er auch nur starken Schnupfen. Kurz nach zehn kommt eine Familie aus Ulm an. Jedes mal, wenn jemand eine Autotür schließt, wackeln die Fenster.

Irgendwann schlafe ich dann doch ein, wache um drei Uhr vom lauten Gehuste und Geschniefe über mir noch einmal kurz auf, schlafe aber gleich wieder ein. Am Morgen verläuft alles planmäßig; der Wecker geht, sporadisches Frühstück, Fahrrad zum letzten Mal bepackt und auf geht es. Es ist stürmisch, aber es regnet nicht mehr. Sitze nun auf der Fähre, es schwankt gar sehr, an Deck ist es zu stürmisch um still zu stehen. 

Dann: sehe Deutschland am Horizont. Leider.

Später: sitze im Zug, gleich bin ich in Elsterwerda, dort soll nach fünfzehn Minuten der Dresdner Zug einfahren. Die Ankunft in Rostock bei strahlendem Sonnenschein und winkenden Menschen am Hafen hatte fast schon was schönes. Das Verlassen der Fähre jedoch war grausig. Hinter allen LKWs stand ich, die LED-Rückleuchte blitzte im Takt der Schiffsschrauben und erst, als alle LKWs das Deck laut und stinkend verlassen haben, war ich dran. Kaum draußen, bekam ich 14 Knoten Windstärke (hatte ich vorher an Bord als Wetterprognose für Rostock gelesen) zu spüren. Die Fahrt über das Hafengelände zwischen LKWs und Wohnwagen war mir nicht ganz geheuer.

Fahre durch Rostock, dieses Mal mitten durch die historische Altstadt. Doch zuvor: Lichtenhagen, noch einmal. Musste die NPD-Plakat-Allee fotografieren. Dazwischen: ein kleines Schild, das den Weg zum nächsten Netto ohne Hund weist. Willkommen in Deutschland, dachte ich mir. 

Am Bahnhof angekommen, bemerke ist, dass ich genug Zeit habe zum Essen und Abendbrot für den Zug kaufen. Um halb fünf steige ich in den Zug. Dieses Mal funktionieren auch alle Türen. Dessen habe ich mich bewusst gemacht.

In Berlin muss ich kurz dran denken, wie wir uns früher auf Berlin gefreut haben. Und wie ekelhaft ich es heute schon beim Durchfahren finde. Die Zeiten ändern sich, jawohl.

Nun sitze ich hier. Gleich Elsterwerda, dann Dresden. Vorbei ist sie, die Schwedenreise 2011. Und ja: ich hätte jede Minute bereut, hätte ich die Reise verschlafen, wie ich es vor einer Woche überlegt habe. Alle Zweifel zu Unrecht, aber wie soll man das vorher wissen. Es ist gut so, wie es ist. Ich komme wieder, keine Frage. Tack för allt och hej då. Vi ses.

06.09.2011 21: 15

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