jokkmokk 2012.

Tag 1. Dresden - Kopenhagen.

Sonntag, 15.01.2012

Kurz vor neun steige ich in den Nachtzug nach Kopenhagen. Die erste Nachtzugfahrt in meinem Leben und schon beim Einsteigen rieche ich einen mäßigen, aber bestimmten Fußgeruch. Ich gehe in Richtung meines Abteils, der Geruch wird stärker und seine Intensität gipfelt - wie sollte es anders sein - im Bett neben mir. Im Abteil sind schon drei andere, zwei Dänen und einer mit Fußgeruch. Eng ist es auch, ich habe Schwierigkeiten, meine Tasche unter das unterste Bett zu schieben. Mein Bett ist das mittlere, sitzen kann man dort nicht. Aber wider Erwarten ist es doch ganz bequem. Der Zug ist alt und man spürt die Stellen an der Liege, wo schon Menschen lagen. Die zwei unteren Betten sind noch leer, oben liegen die Dänen und lesen, ich tue es ihnen gleich, während der Mensch mit dem Fußgeruch allmählich anfängt zu schnarchen. Es ist ein bisschen so, wie man sich Nachtzugfahren vielleicht vorgestellt hat - zumindest ich. Schnarchende Stinker auf zu engem Raum. Doch auch das geht vorbei, denke ich während ich mit jeder Zeile, die ich lese, merklich müder werde. Oben geht das Licht aus, ich lese noch ein wenig weiter, bis auch ich mich entschließe die Augen zu schließen.

Es ist jetzt wohl kurz nach zehn Uhr, es fühlt sich jedoch aufgrund der Dunkelheit und der Stille, die im Abteil herrscht, viel später an. Die Tür lassen wir etwas offen, sonst droht Erstickungstod. Das gleichmäßige und ungemein beruhigende Rattern des alten Zuges lässt mich einschlafen, schneller als ich gedacht habe. In Berlin wache ich nochmal kurz auf, als die letzten Fahrgäste verzweifelt versuchen, ihr Gepäck im Abteil zu verstauen. Es sind zwei Spanier, "Europe on a shoestring" der Titel ihres alten abgenutzten Buches, in dem sie irgendwelche Seiten mit bunten Etiketten versehen und Straßenzüge auf Karten einkringeln. Dann wird es wieder ruhig, und ich schlafe wieder ein. Irgendwann um sechs werde ich noch einmal kurz wach, schlafe aber schnell wieder ein, bis um acht der Schaffner den Weckruf durch den Wagen spricht. Noch zwei Stunden bis Kopenhagen.

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Tag 2. Kopenhagen - Stockholm (-Murjek - Jokkmokk).

Montag, 16.01.2012



Ich gehe frühstücken, ein unglaublich überteuertes "Aktionspaket" bestehend aus einem Brötchen, einem Crossaint, Butter, Marmelade, Schmelzkäse, einem Orangenfruchtsaftgetränk und einem Kaffee. Tut seinen Zweck, aber für 6,20€ sollte man sich das schon überlegen.

In Kopenhagen angekommen setze ich mich auf eine Bank und werde sofort von einem ärmlich ausschauenden Mann nach etwas Kleingeld gefragt. Es soll nicht der  einzige bleiben in meiner Stunde Aufenthalt. Das letzte Mal als ich hier war, ist mir so etwas nicht aufgefallen, glaube ich. Die Zeiten ändern sich.

Jetzt ist es ~13:00 und der Zug nach Stockholm rollt, während der Fahrt wird es beständig weißer draußen. Und kälter. Die Anzeige im Zug zeit 1°C. In Stockholm angekommen verwirrt mich wieder einmal der Bahnhof. Kaum finde ich den Ausgang, bahnt sich ein nächstes Labyrinth zur Haupthalle an. Dort wuselt es dann an jeder Stelle von Menschen, kaum ein Platz mehr frei. Das Internet funktioniert auch nicht, und das Akku ist leer. Nunja. Pizza bei PizzaHut und ein Anruf beim Hostel in Jokkmokk. Alles geht gut, ich darf morgen vormittag schon rein, auch wenn die Check-In-Zeit erst 17.00 beginnt. Ich suche mein Gleis, die letzte Nachtzugfahrt steht vorerst bevor. Gefunden, hingegangen - alles voller schwedischen Soldaten. Hoffe, keiner davon ist in meinem Abteil.

Der Zug hat schon in der Ankunft 20 Minuten Verspätung, diese soll sich im Laufe der Fahrt noch erhöhen, ich habe kurz Bedenken, ob ich den Bus morgen früh schaffe. Mein Abteil ist leer, bleibt es auch bis Uppsala, dort steigen zwei Schweden zu. Ich schaue Film, müde bin ich. Ich denke, diese Nacht werde ich gut schlafen. Auf die Suche nach dem Kino und/oder der Bar begebe ich mich heut nicht mehr, faul rumliegen schlägt doch alles. Wenn alles glatt läuft - und der Lokführer es irgendwie schafft, die Verspätung aufzuholen - bin ich in schätzungsweise zehn Stunden am Ziel.

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Tag 3. (Stockholm -) Murjek - Boden - Luleå - Boden - Jokkmokk.

Dienstag, 17.01.2012


Es kommt dann doch alles anders. Natürlich wird die Verspätung nicht aufgeholt, sondern noch ein wenig weiter ausgebaut, sodass wir fast zwei Stunden zu spät in Boden ankommen. Dort dann die nächste Überraschung: der Zug wird aufgrund der zu hohen Verspätung und dringender Wartungsarbeiten zum Endbahnhof Luleå umgeleitet. Dort soll es dann nach wiederum einer Stunde Aufenthalt mit einem anderen Zug, der freundlicherweise noch einen (in Zahlen: 1) ungebuchten Wagen mitbringt, weitergehen. Alternativ könnte ich auch direkt von Luleå mit dem Bus nach Jokkmokk gelangen, fällt mir ein. Und da tatsächlich gleich einer fährt, mach ich das auch, anstatt eine Stunde in Luleå am Morgen zu warten und hoffen, im Anschlusszug einen freien Platz zu bekommen. So bezahl ich zwar um die 50 Kronen mehr, doch irgendwann will ich dann schon ankommen.

Aber die Fahrt mit dem Bus, die schon beinahe an Raserei grenzt, entschädigt für alles. Es geht immer geradeaus durch unglaublich schön verschneidte Wälder. Ab und zu sind Rentiere zu sehen, die durchs Dickicht streifen. Der Bus fährt durch Boden, was mich ein wenig ärgert, hätte ich doch dort auch aus dem verspäteten Nachtzug aussteigen können und noch Geld gespart. Aber: in Boden steigt eine Frau zu, die seit Stockholm den selben Weg wie ich hat, Ziel Jokkmokk, eigentlich sollte auch sie schon lange da sein. Ihren Hund hat sie dabei, als sie an einer Tankstelle eine Zeitung kaufen geht, soll ich auf ihn aufpassen. Der liebste Hund der Welt (weil klein und still). Sie erzählt mir dann, dass solcherlei Verspätungen bei der SJ alles andere als selten wären und niemand wirklich mehr gut auf die SJ zu sprechen ist. Nicht mal die Angestellten. Ich erzähle ihr von den allgemeindeutschen Ärgernis DB und auch davon, dass ich das von Schweden eigentlich anders kenne. Die Zeiten ändern sich, meint sie.

Nun ja. Drei Stunden soll die Fahrt dauern. Interessant ist: hier im Norden Schwedens sind die Linienbusse gleichzeitig Lieferwagen. Am hinteren Ende des Busses befindet sich ein Laderaum, von hinten sieht der Bus auch eher aus wie ein LKW. Die Haltestellen befinden sich oft an Tankstellen, die so gleichzeitig beliefert werden. Auch Privatpost verteilt der Busfahrer hier ab und an.

Und dann, endlich, kurz vor eins: Jokkmokk Åsgatan. Endstation für mich, das Hostel sehe ich schon. Ich gebe den Code an der Tür ein, eine Box öffnet sich und der Schlüssel ist mein. Ich packe mein Zeug in das Zimmer, niemand weit und breit zu sehen. In der Küche allerdings stehen Lebensmittel, irgendwer wird schon hier wohnen. Wenn auch nicht in meinem Zimmer. Abwarten, was die Check-in-Runde heute abend bringt. Ich packe mich warm ein und gehe raus, streife durch den Ort. Wenn kein Auto kommt, ist es still. Der Schnee begräbt alles, selbst die Geräusche. Gemütlich ist es, aber nicht öde. Es sind Menschen auf der Straße, im Büro der Linkspartei wird gerade Kaffee getrunken und gelacht. Ich laufe runter zum Bahnhof der Inlandsbahn, die im Sommer hier hält. Die Gleise sind nirgends erkennbar. Weit hinten ein paar Signale, ein Mann mit einem Hund läuft über den Weg, wo sonst Gleise sind. Im Hintergrund stört das Industriegebiet während es schon langsam anfängt zu dämmern. Ich gehe zum ICA und decke mich für die drei Tage hier ein. Sündhaft teuer trotz dass es eigentlich nur ein normaler Wocheneinkauf gewesen ist. Doch dafür auch umso leckerer als in Deutschland.

Zurück im Hostel koche ich Nudeln, uh yeah! Es ist mittlerweile stockfinster draußen. Heute abend werd ich nochmal rausgehen, und wehe ich sehe kein Polarlicht!!!

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Tag 4. Jokkmokk.

Mittwoch. 18.01.2012


Ich habe kein Polarlicht gesehen, der Himmel war zu bewölkt. Einmal dachte ich kurz, eines gesehen zu haben. Aber bei genauerem Hinsehen war es wohl nur die entfernte Straße. Kein Riss in der Wolkendecke, durch das das Licht hätte durchscheinen können. Trotzdem war die abendliche Runde im Park das schönste am ganzen Tag, die absolute Stille. Ab und an mal ein Skifahrer, der vorbeizischt, sonst nichts. In der Nacht schlafe ich ruhig, endlich wieder in einem richtigen Bett. Das Zimmer ist immer noch leer, vielleicht auch ganz gut so.

Am Mittwochmorgen breche ich nach dem Frühstück auf, eigentlich habe ich vor zum Polarkreis zu laufen. Jokkmokk liegt einige Kilometer hinter dem eigentlich geografischen Polarkreis. Ein Wanderweg führt mich ein ganzes Stück durch eine andere Welt, Tiefschnee und Tierspuren (ich bin zu schlecht im Fährtenlesen um zu erkennen, von welchem Tier sie stammen, Rehe oder Rentiere oder Yetis?), leichter Schneefall, der die Luft glitzern lässt. Es geht über halbzugefrorene Bäche, vorbei an einsamen Waldhütten, die Hunde bellen, wenn sie Bellen, klingt es mit viel Phantasie wie 'Jokk!Mokk!'. Ich laufe und laufe, hier und da halte ich und fühle mich unglaublich frei. Um mich herum nichts als Wald, Schnee und Einfachheit. Das Signal der Inlandsbahn, auf dessen Bahndamm ich kurz entlang gehe, bis der Schnee zu tief wird, scheint nur für mich zu blinken. Kein Mensch geschweige denn ein Zug weit und breit. Ich laufe und laufe und komme irgendwann beim Campingplatz vor Jokkmokk an. Dort endet der Wanderpfad. Ich habe die Wahl zwischen Schnellstraße und einem zugefrorenen See, auf dem keine Spuren sind. Beides ist mir nicht ganz geheuer, ich suche nach einer anderen Möglichkeit. Ein wenig enttäuscht muss ich feststellen, dass es keinen direkten Weg zum Polarkreis gibt. Zumindest nicht zu der Stelle an der Straße 97, an der ich mit dem Bus vorbeigefahren bin. Ich beschließe, zurückzulaufen. Einen anderen Weg jedoch am Rande eines riesigen wiederum zugefrorenen Sees. Wenn man nicht wüsste, dass unter der unendlich weiten Schneedecke Wasser ist, würde man es glatt für eine normale Lichtung im Dickicht halten. Zurück in Jokkmokk beginnt es schon längst zu dämmern. Es ist kurz nach halb drei, ich esse etwas und beschließe für den morgigen Tag, nach Luleå zu fahren. Dort kann ich nochmal ans Meer gehen, im tiefsten Winter, das stell ich mir schön vor. Ich gehe am Nachmittag zur Busstation und kaufe mir Tickets für den Bus morgen früh. Da fängt auch schon das "Problem" an: der Bus nach Luleå fährt um sechs, um acht und dann abends wieder. Also fahre ich um acht, was eine kurze Nacht bedeutet. Aber dennoch: auf Luleå bin ich auch schon sehr gespannt.

Am Abend gehe ich wie gestern eine Runde durch den Park in der Hoffnung auf Polarlichter. Doch der zunehmend stärkere Schneefall nimmt mir schnell die Illusion. Also stapfe ich nur durch den Schnee, gedankenverloren und viel zu unaufmerksam; werde ich doch beinahe von einem Skifahrer mitgenommen.

Zurück im Hostel sehe ich neue Gesichter. Eine Gruppe Briten, kaum zu überhören. Ich sitze in der Küche und esse ein wenig, als zwei von ihnen zu mir kommen und so kommen wir ins Gespräch. Ein Mädchen sagt, Reisen allein wäre das Beste, da hätte man den ganzen idiotischen Streit nicht. Kurz darauf diskutieren sie über 100 Kronen, die irgendwer irgendwem geborgt und nicht zurückgegeben haben. Irgendwie bin ich froh, dass sie nicht in meinem Zimmer wohnen. Sie trinken Wodka und Bier und braten sich Steak. Das ganze Gegenteil von dem, weswegen ich hier bin also. Und da kommt mir der Gedanke: eigentlich ist es genau so gut wie es ist: keiner ist hier, ich bin allein und kann mich von alldem fernhalten, was die anderen tun. Ruhe vor eben dem, was die lauten Briten hier gerade so schön feiern: "Leben".

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Tag 5. Luleå.

Donnerstag, 19.01.2012


Die Nacht war kurz. Um kurz nach sieben sitze ich (zu meiner Verwunderung nicht mal allein) am Frühstückstisch. Einer der Briten hat draußen in einem Zelt übernachtet und meinte es wäre "fuckin hot" gewesen. Soll es wohl so sein. Um acht kommt der Bus nach Luleå, ich mache mich auf den Weg.

Der Bus ist beinahe leer, das soll sich in Harads noch ändern. Am Ende sind bis Boden keine Plätze mehr frei. Hinter mir sitzen zwei sehr betrunkene Schweden, Mittfünfziger vielleicht, die Zeiten ändern sich eben. Ist ja auch kalt hier. Ich dämmere hin und wieder weg, an den spärlich gesäten Haltestellen - oder zumindest an den paar, an denen der Bus hält - wache ich kurz auf, skippe ein Lied weiter (auf Rolo Tomassi hab ich irgendwie gerade keine Lust). Kurz vor 11 bin ich dann planmäßig in Luleå.

Und ich hatte ja ursprünglich vor, ans Meer zu gehen. Nun, das Meer ist in Hafennähe zu Luleå zugefroren. Der Schärengarten, indem Luleå liegt, ist komplett weiß. In der Mitte des Nichts steht eine Hütte, sie scheint auf dem Meer aufzuliegen, oder leicht darüber zu schweben. Am nördlichen Hafen ein ähnliches Bild: kein Wasser, nur Schnee und Eis. Der Hafenwind ist stark, es fühlt sich viel kälter als in Jokkmokk an, obwohl es das bei Weitem nicht ist. Ich streife durch die Stadt, kehre bei Wayne's Coffee ein und gehe gegen Mittag zu Norrbotten's Museum. Etwas Kunst, etwas Kultur neben alldem Schnee und Eis und Abgeschiedenheit. Sie haben dort eine Vielzahl an Ausstellungen (alle für freien Eintritt) und da ich Zeit habe, schau ich sie mir alle an.

Da ist die Ausstellung einer schwedischen Porträtmalerin, die abstrakte, verschnörkelte und unfassbar überbunte Portraits junger Frauen gemalt hat. Im zweiten Stock gibt es zwei, naja sagen wir Kinderausstellungen. Dort können kleine Kinder Samen spielen, sich in samische Zelte setzen oder im anderen Raum als Verkäufer in einem Markt aus längst vergessenen Zeiten "arbeiten", will heißen: spielen. Auch im selben Stock ist eine Ausstellung über Schwedens letzten Krieg 1809 und ein Videoraum. Und hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich mir alle Filme angesehen. Nur einen werd ich nicht vergessen: einen Super-8-Schmalfilm über Luleå in den 60ern. Wie eine andere Welt, die Klamotten, die Autos, alles sah ...freundlicher aus.

Im dritten Stock ging es um die Frage nach der Rolle, die wir Menschen im Alltag spielen. Auf einer anderen, geschichtlichen Ebene zwar, dennoch. Gezeigt wurden Fälle von öffentlichen Lynchungen in den USA (von denen es absurderweise Postkarten gab - auch von öffentlich Gehängten wurden Ansichtskarten produziert und mit Grüßen wie "this is our barbecue party tonight! that much fun! see you!" an die Verwandten geschickt...) oder aber auch öffentlichen Erschießungen im KZ in Österreich und den Menschen, die das einfach nur angesehen und totgeschwiegen haben oder aber auch von Einzelnen, die sich dagegen verwehrt haben, wie zum Beispiel ein Dame aus Österreich, die zu der Zeit in der Nähe des KZ (Guben?) gewohnt hat und die illegalen Erschießungen im Wald mitbekam. Sie schrieb der Polizei einen Brief über die Vorfälle. Was aus ihr wurde, weiß niemand so genau... ziemlich mitnehmende Ausstellung, eine ältere Dame geht auch gleich wieder raus, "i don't think i want to see this...".

Wieder in der Stadt gehe ich dann doch mal zu MAXburger essen, auch wenn es eigentlich ekelhaft ist. Aber von den ekelhaftesten Fastfoodketten ist das doch noch die leckerste, ja. Danach gehe ich noch ein wenig durch die Stadt, bald kommt der Bus heim. An Bord sind gleich drei Busfahrer, die sich gegenseitig nach Hause fahren. Ist einer zuhaus, hält der Bus und die Fahrer wechseln. Zurück in Jokkmokk schneit es schon wieder (oder immer noch?) - die Berge an den Straßen türmen sich höher und höher. In meinem Zimmer brennt Licht, das wars also mit der Einsamkeit. Ein Bulgare ist da, der nach einem 9monatigen Erasmus-Projekt in Skandinavien nun plant, sich einen Job in Jokkmokk zu besorgen. Wir reden über Schweden, sein Projekt, er zeigt mir Bilder und Videos, Nordlichter hat er in Norwegen auch gesehen. Es wird später und später und irgendwann bekomm ich Hunger. Es ist schon gleich zehn. Nach dem Essen geh ich trotzdem noch mal raus in die Nacht, es schneit und schneit und schneit. Die Kids driften mit ihren Volvos durchs Dorf, sonst ist alles still. Der letzte Abend in Jokkmokk, auch ohne Polarlichter doch dennoch durch nichts zu ersetzen.

Mein Zimmergenosse hat die Angewohnheit zu 'King of Queens' in der Endlosschleife einzuschlafen. Er schläft bereits tief und schnärchelt vor sich hin, nur der Laptop spielt immer weiter die Sinnlos-Sitcom. Da ich nicht schlafen kann zum Sound von eingespielten Lachern, mach ichs kurzerhand aus. Bemerkt er eh nicht. 

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Tag 6. Jokkmokk - Murjek - Boden (-Stockholm - Göteborg)

Freitag, 20.01.2012


Ein letztes Mal frühstücken. Dieses Mal mit Georgi, dem Bulgaren. Nach dem Frühstück sollte ich eigentlich auschecken, doch da sowieso niemand da ist, der das kontrollieren kann, bleib ich noch. Der Bus kommt erst nach 2, es bleibt also noch genug Zeit. Wir beschließen, ins Ájtte zu gehen. Ájtte ist samisch und heißt 'Hütte', wenn ich mich nicht irre. Ájtte ist eine Dauerausstellung über samisches Leben damals und heute. In liebevoller Kleinstarbeit wurde alles bis ins Detail nachgeabaut, eine Menge Fotos nebst einer Diashow gibt es auch, man fühlt sich irgendwie zurückversetzt, wenn man die verschiedenen Trachten und Werkzeuge der Samen sieht. Es ist viel zu viel um es in zwei Stunden zu schaffen und zu verstehen, jetzt weiß ich auch warum es Dagsbiljet heißt- man braucht schon einen Tag dazu, um sich alles bis ins Detail anzusehen, anzuhören, anzulesen. Ich gebe Georgi später im Hostel meine Karte, als ich gehe, er wollte nicht mit hinein, zumindest nicht für 70 Kronen, die sich aber auf jeden Fall lohnen. Ich habe Hjortrontee gekauft, Schwarztee mit Moltebeeren-Geschmack, eine nur im äußersten Norden Lapplands vorkommenden Frucht, die die Samenkinder im Frühling auf ihrer Wanderschaft immer geernetet haben (wie ich in Ajtte gelernt habe).

Zurück im Hostel noch was essen und dann zum Bus. Ich verabschiede mich von Georgi, er sagt, wenn er einen Job hier findet, kann ich ihn besuchen kommen. Das  wärs - das nächste Mal umsonst in Jokkmokk übernachten. Wir werden sehen, es bleibt spannend. Facebook hilft.

Der Bus ist pünktlich, nur in Murjek dann das - wie ich gelernt habe am Anfang der Reise - SJ-Problem. Der Zug hat 20 Minuten Verspätung, exakt solange hab  ich laut Ticket Zeit zum Umsteigen in Boden. Ich seh mich schon im Bahnhofshaus von Boden übernachten. Doch nichts dergleichen passiert, irgendwie schafft der Zug trotz seiner Verspätung eher als angegeben in Boden zu sein. Jetzt liege ich schon im Nachtzug, im Abteil drei Spanierinnen und ich glaube eine Deutsche. Draußen geht ein Betrunkener ("Robert från Svveeriige") umher und grüßt in jedes Abteil, wir haben unseres abgeschlossen. Besser ist. Und jetzt wieder der allgemeine Satz: wenn alles glatt läuft, bin ich in 15 Stunden in Göteborg.

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Tag 7. (Stockholm -) Göteborg - Kopenhagen (- Dresden)

Samstag, 21.01.2012


In Stockholm hat der Zug eine halbe Stunde Verspätung. Soweit alles gut, ich hab einen ziemlich großen Puffer in Göteborg, fast drei Stunden. Ich frühstücke weitaus besser als in deutschen Nachtzügen, sogar preiswerter. Jaja, Schweden ist teuer oder wie war das? Zumindest nicht im Zug. (Allgemein sind die Bahnpreise hier mehr als erschwinglich im Vergleich zu Deutschland.) Wir kommen pünktlich in Göteborg an. Während der Fahrt hat sich das Weiß draußen langsam zu Grün/Grau/Ocker gewandelt. In Göteborg ist es ekelhaft, wettermäßig. Schneeregenmatsche und ziemlicher Wind. Aus dem Plan, mein Gepäck am Bahnhof zu lassen und ein wenig durch die Stadt zu laufen, wird nichts, ich lasse mich in Espresso House nieder, dort gibts Kaffee, Jogurt und gratis Internet. So lassen sich die zweieinhalb Stunden auch rumkriegen. Als ich später dann zum Gleis gehe, ist der Regen in Megaschneeflockendauerfeuer übergegangen. Man sieht kaum was, das Grün/Grau/Ocker ist längst kein Grün/Grau/Ocker mehr, selbst im Westen Schwedens bedeckt nun eine kleine, aber merkliche Schneeschicht den Boden und die Landschaft. Der Zug steht schon da, die Türen sind aber noch verschlossen, das kennt man sonst gern von Freitaler Busfahrern. Aber es weilt nur kurz, zwei Minuten später gehts an Bord. Wir fahren pünktlich ab, nachdem der Zugführer gefühlte tausendmal erklärt hat, dass dies hier ein SJ-Schnellzug ist und nur SJ-Tickets gelten. Damit auch ja keiner mit einem DSB-Ticket mitfährt!

Wie gesagt: wir fahren pünktlich ab. Um zwanzig Minuten später für wiederum zwanzig Minuten stillzustehen. Die Frau Anfang der Woche hatte anscheinend wirklich recht: es ist ein Wunder, wenn SJ mal ohne Verspätungen ans Ziel fährt. Aber wie dem auch sei: ich finde Zugfahren in Schweden wesentlich angenehmer, komfortabler und freundlicher als in den Zügen der DB. Liegt vielleicht auch daran, dass das Personal sich hier um die Fahrgäste kümmert und stets freundlich zu sein scheint. (Zumindest was ich so erlebt habe die letzte Woche.)

Jetzt liege ich im oberen Bett eines Sechser-Abteils im Nachtzug nach Dresden. Wir stehen gerade in Odense, ich kann also noch mal kurz das Gratis-Internet von McDonalds nutzen. Morgen früh um sieben bin ich wieder zuhause. Und ja... das soll es wohl gewesen sein. Eine Woche Winterfreiheit fernab von jeglicher Heimat. Ich bereue keine Minute; alles war gut so wie es war. Der Schnee, die Dunkelheit, die Einsamkeit, der Wald, die Kälte, - alles. Die Welt war eine bessere für eine Woche.

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Tag 8. (Kopenhagen -) Dresden.

Sonntag, 22.01.2012


Endlich auch mal eine Nachtzugfahrt, wie man sie sich vorstellt: laut, mit Schnarchern, ungemütlich und unruhig. Mir fällt erst jetzt auf, wie komfortabel die schwedischen Nachtzüge im Vergleich zu den deutschen sind. In Berlin wird mit einer Urgewalt hin- und hergekoppelt, ohne Rücksicht auf eventuell Schlafende, es ruckt und knallt im Minutentakt. Nebenan schnarcht noch immer der Mann, mein Gott, wie kann man nur so laut und langanhaltend schnarchen. Das Bett ist auch viel zu klein (ja, scheinbar sind die Deutschen kleiner als die Schweden??), von der Nachbarkabine dringt ständig infantiles Gelache. Ja, so stellt man sich eine Nachtzugfahrt vor. Drei Abteile sind übrigens ungebucht und abgeschlossen, lieber sechs Leute auf einen Haufen pferchen, die sich gegenseitig den Schlaf rauben. Da soll noch mal einer auf die SJ schimpfen...

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