estland 2014.


Tag 1. Berlin – Riga – Tallinn.

Montag/Dienstag, 07./08.07.2014


Voll gepackt stehe ich am ZOB Berlin und sehe pünktlich um 20:30 die geplante Fahrt nach Riga von der Anzeigetafel verschwinden ohne bereits im Bus nach eben erwähntes Riga zu sitzen. Die anderen wartenden Passagiere werden unruhig, ich setze mich hin und dann passiert das Erwartete: eine unbestimme Verspätung taucht auf. Unbestimmt heißt in diesem Fall 20 Minuten und das ist gar nicht in jenem Maße unbestimmt, wie wenn ein Zug mit einer unbestimmten Verspätung unterwegs ist. Wie dem auch sei: hier kommt der Bus. Und: ist voll. Das heißt: es gibt keine freien Plätze am Fenster mehr, der polnische Busfahrer weist die protestierenden Fahrgäste in ihre Schranken, sie sollen doch gefälligst die Plätze räumen und die Neuzugänge – also mich und ein paar andere aus Berlin – auch sitzen lassen.

Ich sitze fast ganz hinten. Neben einer älteren russischen Frau, die ununterbrochen mit der jüngeren russischen Frau auf der Vorderreihe russisch spricht. Wie sich herausstellt, kennen die beiden sich nicht, lediglich die Sprache verbindet sie und so erfährt die junge Mutter anscheinend flugs das gesamte Leben der älteren Dame, auch anhand illustrer Urlaubsfotos auf ihren Smartphone. Ich werde müde, doch kann mir ein Schlafen hier nicht wirklich vorstellen. Die Beinfreiheit ist nicht gegeben und eben jene russische Frau denkt auch nicht wirklich an Schlafen, glaube ich.

Doch dann. Sie deckt sich zu. Setzt eine Augenmaske auf und versinkt in einer viel zu unbequemen Umgebung in einen doch recht tiefen Schlaf. An einigen der regelmäßigen Pausen wacht sie zwar auf, doch im großen und ganzen bleibt sie bis Kaunas (Litauen) recht ruhig. Dort steigt sie aus und ich habe die restlichen sechs Stunden den Platz für mich. Jetzt komme auch ich etwas Schlaf ab.

Wir sind pünktlich in Riga, ich kaufe Kaffee und warte auf den Bus nach Tallinn. Dieser ist im Vergleich zum Vorbus ein wahres Luxusgut. An jedem Platz gibt’s in Google Touchpad, Internet und Angry Birds gratis zum Ticket. Zu spät entdecke ich, dass auch eine Großzahl an Filmen auf dem Pad installiert sind. Die Umgebung fliegt vorbei, es wird spärlicher mit jeder Minute. Wir kommen kurz nach elf in Tallinn an, ich fahre zum Hostel und finde es nicht, aber ein Schweizer und eine Estin helfen mir sogleich.

26 Stunden Busfahrt ziehen ganz schön, jetzt ist Duschen und Liegen alles, was ich noch will.

Tag 2. Tallinn – Padise – Kurkse.

Mittwoch, 09.07.2014


Am Morgen breche ich auf, um mir etwas zum frühstücken zu holen. Nachdem ich dies erfolgreich zu mir nahm, gehe ich zu Citybike mein bestelltes Leihrad abholen. Ich werde bereits erwartet und nehme das Rad in Empfang. Es ist das neueste, was sie da haben, erzählt mir die Mitarbeiterin und ich bin der erste, der es fahren darf. Und noch dazu auf so einer langen Route. Ich fahre zurück zum Hostel, bepacke das Rad, werde von Citybike angerufen, dass ich meine Kreditkarte vergessen habe, fahre zurück und hole sie und breche dann endlich auf. 

Verfahre mich mehrere Male in Tallinn, verliere das Route-1-Schild, dem ich folgen soll ständig aus den Augen und dann taucht es wieder auf und ich stelle fest, dass ich sinnlos im Kreis gefahren bin. Irgendwann nach viel zu langer Zeit bin ich raus aus der Stadt und im freien Land. Erst noch auf einem Radweg, doch schon bald auf der Straße, die – wider Erwarten – überhaupt nicht schwer befahren ist. Ich fahre durchs Niemandsland, so scheint mir. Es ist noch leerer als in Schweden die Jahre zuvor. Nirgends irgendwas außer Wald und Straße. Ab und zu verläuft der Weg am Meer, was alles noch ein bisschen schöner macht. 

Ich fahre und fahre und fahre. Irgendwann merke ich, dass es fast schon sechs Uhr ist. Ich entschließe, einen Platz zum übernachten zu finden. Erst finde ich Padise – einen kleinen Ort – nicht und dann doch oder auch nicht. Ich weiß es nicht – Fakt ist: laut Karte soll Padise größer sein als die zwei Häuser, vor denen ich stehe. Eins davon ist zum Glück ein Lebensmittelgeschäft und ich kann noch etwas zu essen kaufen, bevor ich Richtung Kurkse abbiege. Dort soll es einen Campingplatz geben laut Karte. Gibt es auch. Oder so etwas ähnliches. Direkt am Hafen gelegen, der Besitzer schläft in seinem Bürohäuschen, um ihn herum leere Bierflaschen. Ein anderer Mann kommt auf mich zu, ich frage ihn, ob ich mein Zelt irgendwo aufschlagen kann. Er erzählt mir, dass der Besitzer eh nur russisch spricht und hier ja sowieso eigentlich nichts sei außer nichts und dass ich daher einfach irgendwo zelten könne, wo es mir gefiele. Und das tat ich dann auch.

Ein Hund bellt mich an. Lange. Dann geht er wieder. Er gehört wohl dem Besitzer und streunt ein wenig im Wald herum. Und findet mich. Naja. Ich bleibe still, er bleibt laut und zieht ab. Ich koche Nudeln. Mit Ketchup. Saulecker, wirklich. Und in der Nacht: mehrfach Alarmanlagen-Geheul. Ich habe Angst. Das heißt: eher ein unbestimmtes Gefühl. Schaue in die Nacht und sehe nichts. Schlafe wieder ein.

Tag 3. Kurske – Haapsalu.

Donnerstag, 10.07.2014


Am Morgen ist alles still. Ich meine, einen Mensch ins Wasser waten zu hören. Ich wache auf und frühstücke. Das Wasser, was es hier in Flaschen zu kaufen gibt, hat einen ungeheuren hohen Salzgehalt. Es schmeckt wie Meerwasser mit Kohlensäure, also wirklich fast so schlimm. Der Kaffee: der gute Nescafé Instantmüll – schmeckt dadurch gleich noch viel besser! Oder eben nicht. Und dann: wieder Alarmanlage. Ich verstehs nicht. Baue ab und fahre weiter. 

Auf dem Weg, der zunächst noch über Schotterpisten verläuft – was mich wirklich ein wenig nervt, denn Schotterpisten in Estland sind nicht wie Schotterpisten in Schweden zum Beispiel (kleinschottrig, gut zu fahren), sondern grobsteinig und mit Schlaglöchern übersehen. Fahren mit hunderttausend Kilo Gepäck gestaltet sich als ausgesprochen schwierig. Dennoch: ich schaffe es bis Harju-Riste, dort beginnt die Straße wieder. 

Es rollt und rollt und rollt und plötzlich riecht es nach Sonnencreme. Das ist soweit nicht besonderes, doch die Intensität irritiert mich. Und ja: die Flasche ist durch den Druck des über ihr liegenden Spanngurtes aufgegangen und hat sich schön im Beutel mit den Regensachen – die ich zwar noch nicht brauchte – verteilt. Anhalten, saubermachen, Ostdeutsche treffen. Eine Gruppe sächselnder Radler weiß nicht so recht, wohin. Ich helfe ihnen, der nächste Markt ist in Padise, sie freuen sich und erzählen mir außerdem, ihnen sei schon mal eine Bierdose in den Radtaschen ausgelaufen. Deutsche und ihr Bier, denke ich mir, und lass sie ziehen. Interessant: die erste Radreisenden, die sich sehe und es sind Leute aus der nächsten Heimat. 

Ich entscheide mich an dieser Stelle, eine Abkürzung über die Hauptverkehrsstraße zu nehmen. Aus zweierlei Gründen: vor mir lägen offiziell 10 km Schotterpiste und außerdem geht mir das Salztrinkwasser aus. So fahre ich bis Nova, dort kaufe ich neues Salzwasser in der Hoffnung auf weniger Salzgehalt und: nein. Fast noch mehr. Ich verstehs nicht. Wenigstens ein Eis gibt’s noch. Ohne Salz.

Fahre weiter und merke langsam, wie es stetig bergauf geht. Nicht sichtbar, dafür permanent leicht. Bis Haapsalu sind es noch knapp 20 km. Mache an einer Windmühle im Nirgendwo Rast und überlege, vielleicht schon eher irgendwo unterzukommen. Aber: es kommt nichts, wo ich unterkommen könnte. In Linnamäe glaube ich, einen Zeltplatz oder ähnliches zu finden. Nichts, stattdessen ein Schild auf dem steht, es wären nur noch 8 km bis Haapsalu. Ich bin überrascht und fahre weiter. Leicht bergab diesmal, temporeich geht es voran! 

In Haapsalu finde ich natürlich den Zeltplatz nicht. Ich suche. Lange. Verfahre mich oder auch nicht, weil meistens nur im Kreis. Erst nach acht Uhr komme ich an. Die Übernachtung kostet 10€. Das ist geschenkt, denke ich und baue auf. Neben mir zelten zwei Schweizer – Daniel und Katrin (die Namen sind wichtig, denn sie werden weiterhin in der Geschichte auftauchen). Als mein Zelt steht, ich frisch geduscht zurückkehre, bieten sie mir ihren Rest Nudeln an. Zuviel gekocht, satt für den Abend. Ich nehme dankend an, wir unterhalten uns ein wenig über unsere Reisen. Sie haben im Prinzip die gleiche Tour hinter sich wie ich, und eine ähnliche vor sich. Nur geht ihre bis Riga, meine nur bis Pärnu. Sie trinken noch einen Kaffee, ich lade mein Notebook und lege mich dann hin. Ein langer Tag!

Tag 4. Haapsalu – Rohuküla – Kassari (Hiiuma).

Freitag, 11.07.2014


Am Morgen verlassen sie etwa eine Stunde vor mir den Zeltplatz. Ich treffe sie am Hafen wieder, wo sie auf die Fähre nach Hiiuma warten. Dresden kennen sie auch, Katrin hat dort vor zehn Jahren eine Weiterbildung gemacht und ist gependelt: Zürich-Dresden-Zürich. Mit dem Nachtzug. Den Flohmarkt am Elbufer kennen sie auch. Und den Albertplatz. Diese Welt ist so klein. Ich war übrigens noch nie in Zürich.

Nach der Überfahrt -  die übrigens 4,50€ kostet und eineinhalb Stunden dauert – verabschieden wir uns erneut. Ich biege irgendwann von der Route 1 ab, heute will ich nur bis ans Meer fahren und dort übernachten. Ich finde schließlich auch einen Zeltplatz am Meer, doch dieser ist genau dieses Wochenende nicht zugänglich, weil irgendein Schulfest oder so dort ist und der gesamte Platz gemietet wurde. Ich überlege gegenüber am Strand zu zelten. Aber entscheide mich dagegen. Zuviele Kinder sind dann doch ein Grund gegen das schöne Panorama. 

Finde etwas weiter einen viel schöneren Zeltplatz. Inmitten von Apfelbäumen! Kurz nachdem ich aufgebaut hab, fahren übrigens Daniel und Katrin vor. Sie bauen am anderen Ende auf, und wir winken uns nur kurz zu. Gehe im nahe gelegenen Shop etwas zu essen kaufen und fahre dann noch ans Meer um endlich mal eine Runde schwimmen zu gehen. Kalt ist es nicht direkt, nur der Wind lässt mich frösteln. Doch – und das mag wie ein alter Spruch von Mutti klingen (ist es auch) – wenn man einmal drin ist, geht’s! Tatsache und: kalt ist es gar nicht. Der Meeresboden ist voller Algen, hin und wieder sehe ich kleine Fische und kleine Quallen. Hoffentlich werden die nicht noch größer, bevor ich wieder draußen bin. 

Zurück am Zeltplatz gibt’s essen. Hab ich übrigens erwähnt, dass die Übernachtung inklusive Frühstück 9,- € kostet? Neun. Das ist geschenkt. Und bevor ich mich ins Zelt verkrieche, lese ich noch auf einem Heuballen auf dem nebenan gelegenen Feld. Weil es so wunderbar kitschig aussehen muss. 

Tag 5. Kassari (Hiiuma) – Soru – Orissaare (Saarema).

Samstag, 12.07.2014



In der Nacht werde ich gegen drei Uhr wach, als laut singende Teilnehmer des Festes auf dem anderen Zeltplatz nach Hause schwanken. Lachend, singend und ich glaube: lallend. Aber ich weiß nicht, vielleicht klingt estnisch ja auch einfach so, wenn es später wird. 

Am Morgen: bewölkter Himmel. Ich habe gelesen, es soll regnen, am Sonntag. Morgen also. Noch soll es trocken bleiben. Trotzdem ist es recht kühl. Ich packe alles zusammen und aufs Rad und gehe aber dennoch erstmal frühstücken. So viel Zeit muss sein. Daniel und Katrin fahren bereits winkend ab, als ich zum Frühstück gehe. Es gibt selbstgebackenes Brot, Käse und Kaffee. Und Birnensaft, der zwar unglaublich süß ist, aber ziemlich gut schmeckt. 

Als ich losfahre, scheinen die Wolken sich zu verziehen. Aber ich weiß nicht: je länger ich ihnen nachsehe, desto mehr verliere ich ihre Richtung, oder: haben sie überhaupt eine? Ich fahre zuerst nach Käina, um Bargeld abzuheben. Die Fährtickets nach Saarema lassen sich nur in Cash bezahlen und ich habe gerade mal noch etwa zwei Euro. Im stärksten Gegenwind bisher nur wegen ein paar Scheinen (was sich später übrigens als sinnloser Umweg herausstellen wird).

Nun gut. Fahre weiter in Richtung Hafen, das Wetter wird besser, wärmer und es sieht so gar nicht mehr nach Regen aus. Mache – noch mal – an einer Windmühle Pause und komme irgendwann in Emmaste an und sehe: einen Geldautomaten. Sonst eigentlich nichts! Womit sich der Umweg über Käina als sinnlos erwiesen hat. 

Am Hafen angekommen stürmt es gar sehr und ich habe noch zwei Stunden Zeit bis die Fähre fährt. (Jetzt, exakt in diesem Moment, wo ich das hier tippe, fahren übrigens Daniel und Katrin vor. Und ich dachte, sie haben eine Fähre eher genommen.) Ich lade den Notebook-Akku und trinke keinen Kaffee, weil: der Automat ist defekt. 

Die Fähre fährt gut eine Stunde, dort gibt es dann auch Kaffee. Ein wirkliches Außendeck gibt es nicht, also verbringe ich den Großteil im Innendeck, lesend, Kaffee trinkend. Auf Saarema angekommen verabschiede ich die Schweizer zum hundertsten Mal. Dieses Mal aber wirklich, sie fahren gen Osten, ich gen Westen. Die ganze Inselumrundung schaffe ich nicht, leider. Ich fahre gleich in Richtung Muhu weiter.

Gegen Abend, es muss so 19 Uhr sein, komme ich in Orissaare an, dort oder besser: kurz nach dem Ortsausgang – schon leicht desillusioniert, weil doch nichts gefunden, scheinbar – finde ich den wohl besten, weil unerwartesten „Campingplatz“ auf der ganzen Reise. Ein einfaches Schild weist den Weg zu einem Einfamilienhaus am Ende eines Schotterweges. Ich fahre – leicht skeptisch – darauf zu und schon kommt aus besagtem Haus eine ältere runde Dame heraus und grüßt winkend. Ich sage, dass ich das Schild am Straßenrand sah und einen Platz für die Nacht brauche. Kein Problem, im Garten kann ich zelten. Zwischen Apfelbäumen, Johannisbeersträuchern baue ich mein Zelt auf. Die Toilette und die Dusche ist im Haus, die Tür steht die ganze Nacht offen. Das ganze kostet mich – mit Frühstück – 12€. Ich zelte also im Garten einer Familie, die im selben Haus in der zweiten Etage wohnt. Zwei Hunde, zwei Töchter und einen bedächtig im Sessel sitzenden Papa. Die perfekte Familie, made in Finnland, daher kommen sie wohl. Eine Gruppe finnischer Motorradfahrer übernachtet ebenfalls hier, nicht im Zelt, dafür in einer kleinen Hütte im Garten, die auch vermietet wird. 

Im Übrigen: Hunde. Überall. Die ganze Woche schon. Überall, wo ich übernachte, gibt es Hunde. Diese hier, oder: einer der beiden, ein grauen kleines Knäuel leckt mir unaufhörlich am Bein, während ich den selbstgedruckten Check-In-Bogen ausfülle. 

Schlafe irgendwann ein, die Motorfinnen und die Gastgeberfinnen trinken wohl etwas länger, aber so kennt man Finnen, oder so liest man über Finnen; anscheinend stimmt das wohl auch. Es regnet nachts bisschen, nicht sehr stark, aber ausreichend. Werde wach und stelle fest: das Zelt hält dicht. Sehr gut.

Tag 6. Orissaare (Saarema) – Muhu – Virtsu – Liu.

Sonntag, 13.07.2014


Das Frühstück ist der Wahnsinn. Riesiges Büffet, viel Kaffee und Kiwijogurt. Richtig sattessen am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen, sag ich ja immer. Der Tag wird lang: habe festgestellt, dass es bis Pärnu noch gut 140 km sind. Bis Dienstag will ich da sein (schaffe ich locker, aber man kann ja mal Panik schieben.)

Fahre im leicht bewölktem Himmel los, der Gegenwind bringt mich beinahe aus der Bahn. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass ich seit ich in Tallinn losgefahren bin, permanent Gegenwind habe! Am schlimmsten ist es auf dem Damm nach Muhu. Links und rechts Meer und zwischen drin ich und der Wind. Das ist kein Fahren, das ist pures Kämpfen! Fahre mitten durch Muhu durch, mache zwischendrin Eispause und beobachte besorgt die immer dunkler werdenden Wolken. Und tatsächlich tröpfelt es beim Losfahren ein wenig. Doch das hört auch gleich wieder auf.

Bis zur Fähre ist es nicht allzu weit, Muhu ist eine recht kleine Insel. Ich setze in dreißig Minuten ans Festland über, so schnell hatte ich nicht damit gerechnet. Hatte mir Pommes gekauft und die nun nicht mal ganz geschafft. So eine Portion Pommes kommt nach Tagen nur Nudeln und Brot doch richtig richtig gut!

Auch am Festland bleibt der Gegenwind bestehen und als die Route von der Straße auf eine meiner so geliebten Schotterpisten abbiegt, ist es vorbei mit der guten Laune. Die wird erst wieder besser, als die megadunklen Wolken sich verziehen, oder besser: als ich feststelle, dass ich wie auf einer Art Schönwetterschneise durch zwei dunkle Regengebiete links und rechts von mir fahre. Da nehme ich doch lieber den Wind in Kauf, sage ich mir, als den Regen.

Der bleibt übrigens auch aus, die ganze Fahrt über. Genau wie ein Campingplatz. An meinem eigentlichen Zielort Tostamaa gibt’s nichts außer Nichts. Also fahre ich weiter und weiter und weiter durch den immer gleichen estnischen Wald. Das wäre eigentlich nicht besonders schlimm, würde ich nur langsam merken, dass der Tag schon lang war und ich eigentlich mal eine Pause bräuchte. Stehe plötzlich auf einem Aussichtsturm. Also nicht so plötzlich: ich bin hochgestiegen. Blicke über eine Art Steppe, fast ein wenig wie im König der Löwen nur ohne König der Löwen. Höre es im Hintergrund gefährlich grollen. Ein Gewitter. Und ich im Nichts ohne Aussicht auf eine Übernachtungsmöglichkeit. Wildzelten? Bei Gewitter: ach lieber nicht.

Etliche Kilometer weiter weist ein Schild zu einem Caravan-Campingplatz. Ich fahre hin, irgendwo werde ich dort schon unterkommen. Im kleinen Siedelchen Liu treffe ich auf eine kleine Ansammlung von roten Camperhütten. Estland-Fact: In Estland bedeutet „Campen“: Übernachten in einfachen Hütten für wenig Geld. Bei uns: Zelten. Ich fahre auf den Platz, niemand ist hier außer ein älterer Mann, der irgendwas in einem großen Feuer verbrennt. Ich spreche ihn an, er kann aber kein englisch und holt seine Frau. Den beiden gehört die Anlage wohl und sie sind gerade am Saubermachen. Ich frage nach dem Preis für solch eine kleine Hütte. Die Sache mit dem Zelten habe ich mir für heute aus dem Kopf geschlagen, als ich die schwarzen Wolken über mir betrachte. Eine Nacht 20€, ich schlage ein. Hier habe ich Strom, Licht, ein Bett und das ganze: in meiner eigenen Hütte! Wir unterhalten uns noch ein wenig, ich erzähle ihr, wo ich die Woche schon überall war und sie bekommt leuchtende Augen. Ich bin der einzige Gast heute, die letzten sind vor zwei Stunden abgereist. Und auch die Besitzer werden später gehen, es wird sehr still hier, warnt sie mich. 

Doch erst: das Gewitter. Übelstes Unwetter! Es peitscht der Regen, die Blitze zucken über dem Meer, das ich von meiner Hütte aus sehe. Die Bäume biegen sich und die Aludächer werden bedrohlich laut. Ich beobachte und genieße und als es gegen mich peitscht, geh ich hinein. Ein Lärm, auch drinnen. Es riecht nach Regen, alles. Ich denke kurz an mein Zelt und wie es wohl jetzt da drin wäre und ob es schlimmer ist als damals auf Öland... Wahrscheinlich ja. Und bin froh über meine Entscheidung, die Hütte genommen zu haben.

Und auf einmal: Stille. Es hört einfach auf. Kein Nachgrollen, nichts. Im Bruchteil einer Sekunde verschwindet das Unwetter. Die Wolken ziehen auf und die Sonne kommt zum Vorschein. Einen derartigen Wetterwechsel in so kurzer Zeit zu erleben hat etwas atemberaubendes. Ich setze mich wieder vor die Hütte, es ist niemand mehr da. Vögel zwitschern, Mücken sirren wahnsinnig umher. Apokalyptisch, das ist das richtige Wort und ich bin nachher da. 

Jetzt, in diesem Moment, ziehen vom Meer her bereits die nächsten Wolken – schwarz wie die Nacht – heran und ich bin so froh, mich für eine Nacht Campen statt Zelten entschieden habe...

Tag 7. Liu – Pärnu.

Montag, 14.07.2014


Ich wache auf und die Sonne scheint. Ein paar graue Wolken tummeln sich am Horizont, aber im Großen und Ganzen dürfte es das mit Schlechtwetter gewesen sein. Es ist auch schon wieder brütend heiß. Die Gaskartusche ist alle und ich kann meinen Kaffee nur lauwarm trinken. Das macht aber nichts. Ich sitze auf der Terrasse meiner kleinen Hütte, die Besitzer der Anlage sind noch nicht da, ich bin ganz allein auf dem Areal. Kurz darauf fahren sie hupend und winkend vor. Fragen mich, ob die Nacht gut war und ich den Regen gut überstanden habe. Ich meine, diese Nacht war mit Abstand die komfortabelste!

Erst gegen ein Uhr breche ich auf, es sind ja nicht mehr viele Kilometer bis zum Ziel der Reise: Pärnu. Komme dort auch recht bald an, der Weg führt wunderschön direkt am Meer entlang, da vergess ich sogar meinen Unmut über estnische Schotterpisten. Pärnu ist vom ersten Eindruck und vom ersten Durchfahren auf der Suche nache einem Zeltplatz ziemlich... okay. Nichts besonderers, die alten pittoresken Häuser am Straßenrand sind ein Hingucker, aber warum Pärnu als Sommerhauptstadt Estlands gehandelt wird, versteh ich noch nicht.

Ich finde einen Zeltplatz und er ist ausgebucht. Ich fahre weiter und finde einen viel kleineren, viel gemütlicheren, viel preiswerteren und baue auf. Neben mir – und das wird interessant – Finnen, überall. In Zelten, in Wohnwagen. Finnen und Bier. Diese Leute sitzen den gesamten Tag nur da und trinken Bier! Lassen sich ab und zu mal im Fluss treiben, auf einer neonbunten Aufblasmatratze; aber sonst: Bier. Und gegrillt wird. Mit Ästen aus dem naheliegenden Wald. Ab und zu fährt einer der (wahrscheinlich schon völlig besoffenen) Finnen mit dem Auto zum 200 m entfernten Supermarkt: der Fusel war alle. Ich verstehs nicht. Oder vielleicht schon. Haben wir früher ja auch gemacht. Nur nicht in Estland. Aber abgesehen davon sind diese Finnen über vierzig und das waren wir damals nicht. Nunja. Sie scheinen ja ganz nett zu sein, winken, als ich aufbau. Ob sie mir winken, oder dem Baum – wer weiß das schon.

Gehe in Pärnu flanieren, durch die Altstadt. Die ist nicht so unhübsch: alte und fast schon malerisch schöne Holzhäuser reihen sich aneinander. Dazwischen: Straßenmusiker. An jeder Ecke. Junge Hipster mit Gitarre und Geige und keinem Talent und alte Russen mit Schifferklavier und jeder Menge Talent. Kaum verklingt Jeff Buckleys Hallelujah, ertönt Kalinka durch die Gassen. So fühlt sich Urlaub an, auf touristisch. 

Esse Pizza. Geil. Lange nicht gehabt. Fahre noch eine Runde am Fluss entlang und gehe denn zurück zum Zeltplatz. Die Finnen haben es geschafft, den kompletten Tisch mit leeren Bierbüchsen vollzustellen und trotzdem: kein Ende. Am Abend kommt eine Familie aus Litauen an und braucht Hilfe beim Fahrradflicken. Ich verstehe kein Wort russisch und sie kein Wort englisch, aber am Ende fährt das Rad wieder. Das ist irgendwie schön und ich kann in Ruhe einschlafen. 

Halb drei wache ich auf. Die Finnen sind noch wach und trinken. Einer redet unaufhörlich, das heißt: er hört schon auf, oft, zwischen den Worten. Es klingt, als würde er sein Leben Revue passieren lassen, ab und zu wird angestoßen. Aber vielleicht erzählt er auch nur einen sehr sehr langen Witz. Im Hintergrund gröhlen Jugendliche. Ach, Großstadt Pärnu. Eigentlich hab ich so etwas nicht gebraucht. Noch bevor der eine Finne mit seinem Leben/Witz fertig ist, schlafe ich wieder ein.


Tag 8. Pärnu – Tallinn.

Dienstag, 15.07.2014


Wache erst spät auf. Frühstücke lange, die Finnen frühstücken Bier und Cola. Ach so ein Leben! Erinnere mich kurz an vergangene Spreewald-Urlaube, in denen wir morgens als erstes ein kühles Sternburg Export öffneten zum Frühstück, einfach weil wir es konnten. Jetzt trinke ich Wasser und esse Brot mit Nutella, während nebenan eine Gruppe Midlifecrisis-geplagter Finnen meine Jugend nachahmen. Lustiger Gedanke, eigentlich.

Ich habe noch Zeit bis 17 Uhr, dann fährt der Zug nach Tallinn. Gehe zum Pärnu Museum of Modern Art und drehe sogleich wieder um. Die aktuelle Ausstellung ist ukrainischer Nude Art gewidmet und das sieht schon auf dem Plakat so wahnsinnig thrashig aus, dass mir jede Lust daran vergeht. Fahre durch die Gassen und trinke in einem kleinen Biocafé einen sehr sehr guten Kaffee, lese und beobachte die vorbeiziehenden Menschen. Der Großteil Touristen, glaube ich zu erkennen, vielleicht täusche ich mich aber auch.

Liege den Rest des Tages eigentlich nur herum. Warum auch nicht. Die Zugfahrt soll anstrengend genug werden. Zwar ist das Schienennetz in Estland kaum bis gar nicht vorhanden, doch da, wo es vorhanden ist; da, wo Züge fahren, sind sie hoffnungslos überfüllt. Die gute Nachricht zuerst: es gibt ein Fahrradabteil in jedem Zug. Die schlechte: es sind solch komische Hängevorrichtungen. Ich muss also komplett abpacken. Bis Lelle geht alles gut, dann steigen wir um in den Zug nach Tallinn und da sind schon ein paar Räder drin. Es wird voll, sehr voll, ich kann das Rad nicht einhängen. An jeder Station steigen mehr Leute mit Rädern, Kinderwägen und Rollern ein. Niemand kommt mehr durch, es ist ein heilloses Durcheinander. Ticketkontrollen erfolgen auf dem Vertrauensprinzip - „In Pärnu eingestiegen, oder? - Ja – Gut.“. Zum Glück helfen mir ein paar estnische Hipster, mein Rad zu entpacken und allgemein die Situation im Zug zu klären. Die Schaffner sprechen wohl kein Wort englisch und ich immer noch kein Wort estnisch.
In Tallinn angekommen – ich steige eine Station eher aus, weil viele an ihre Räder wollten und der Bahnhof nur zwei Kilometer vom Zentrum entfernt ist – radele ich direkt zum Hostel, checke ein, entpacke mein Radinhalt in den Rucksack und esse viel zu viel um zu schlafen. Aber gut. Und morgen habe ich dann einen ganzen Tag noch Zeit, mich in Tallinn umzuschauen. 

Tag 9. Tallinn.

Mittwoch, 16.07.2014


Sehr bequemes Bett, sehr bequem! Nicht zu vergleichen mit den Zeltnächten oder der Nacht in der Hütte. Frisch wache ich auf und spaziere nach dem Frühstück durch die Stadt. Erst schnell das Rad zurückgebracht und dann auf. Will eigentlich ins Museum für moderne Kunst, doch das öffnet erst mittags. Also gehe ich am Hafen entlang und komme irgendwann in einem kleinen Stadtteil an, in dem es eigentlich gemütliche Café's und dergleichen geben soll. Ich aber, ich finde nichts davon und bin überrascht, als ich nach einigem Laufen – vorbei an wirklich schicken Häusern – mitten im Shoppingzentrum Tallinns stehe. Dort ist es viel zu laut, viel zu viele Leute und überhaupt: viel zu sehr Großstadt als mir gerade lieb ist. Und dann: plötzlich wieder am Hostel, ich habe keine Ahnung wie ich gelaufen bin, aber anscheinend: im Kreis. 

Nach einer kurzen Pause wage ich mich dann in die Altstadt. Und es stimmt, was ich so hörte: Tallinn ist die Stadt mit den meisten Touristen per Quadratmeter. Vielleicht fühlt sich das aber auch nur für mich so an, da ich heute selbst einer bin. Wie auch immer: die kleinen Gassen und Berge sind ziemlich schön. Ziemlich sehr schön sogar, ich bleibe recht lange und schlendere – nein, ich flaniere gar – durch die Gegend. Überwiegend höre ich schwedisch und spanisch, spanisch auch nur, weil sie permanent schreien im Vergleich zum eher gedämpften Rest. 

In der Tallinn City Gallery stellt Anonymous Boh aus und ich bin verstört. Wer mag, googlet und lässt sich ebenso verwirren. Eigentlich wollte ich ja ins Photographiemuseum, aber das finde ich nicht. (Was im übrigen auch weniger schlimm ist, denn es hätte mittwochs eh geschlossen, so lese ich später) 

Gehe im einzigen veganen Restaurant Tallinns essen und bin wahnsinnig begeistert, satt und zufrieden. Das ist mit Abstand das beste Essen auf dieser Reise. Mit roten Linsen gefüllte Zucchini auf warmen Tofu-Broccoli-Salat und einer Orangencremé. Und als Dessert: Avocado-Kokos-Pudding mit Karamel. Und eine Club Mate. Der Himmel!

Schaue mir dann noch die Ausstellung Black House – Notes on Architecture im Museum für moderne Kunst an. Das beste und gleichzeitig das schlimmste: ein schiefer Raum, in dem eine gerade Leinwand steht und in Dauerschleife Fotografien von architektonischen Sonderfällen zeigt. Durch die verschobene Perspektive und den steil abfallenden Boden überkommt mich ein leicht flaues Schwindelgefühl, das ich bis zum Ende der Ausstellung und darüber hinaus nicht wirklich loswerde. Ein eigenartig zu beschreibendes Gefühl, als würde man fallen, aber wissen, dass sich nichts bewegt. Sehr merkwürdig...
Gehe zum Abend noch etwas am Hafen spazieren, überall sitzen Jugendliche und trinken Bier, obwohl das doch in Estland verboten ist: Bier in der Öffentlichkeit. Aber Punk ist, was du daraus machst, und solange Bier da ist, ist alles gut. Oder so. (Übrigens: auch verboten ist der Verkauf alkoholischer Getränke in Supermärkten zwischen 22 Uhr und 10 Uhr.)

Nach dem Abendessen und dem Schnittchenschmieren für morgen laufe ich noch eine Runde durch die Altstadt, die jetzt – kurz vor 23 Uhr – schon viel angenehmer, weil nicht überlaufen ist. Entdecke das Photographiemuseum und kann mich nicht erinnern, diese Straße schon einmal gesehen zu haben. Allgemein entdecke ich noch eine ganze Reihe für mich neuer Gassen, die ich beim nachmittäglichen Spaziergang nicht sah und bin erstaunt und überrascht. Verlaufe mich sogar fast, will sagen: ich finde den Weg zurück nicht gleich, lasse mich von der Ähnlichkeit der Gassen täuschen und gehe eine Runde im Kreis. 

Jetzt sitze ich wieder im Hostel, es ist alles schon gepackt. Morgen früh schon geht’s mit dem Bus zurück nach Riga und dann nach Berlin. Kaum zu glauben, dass das schon wieder alles vorbei sein soll. Tallinn ist eine wahnsinnig schöne Stadt und ich glaube, ich habe nur einen winzigen Teil gesehen. Wiederkommen ist also eigentlich Pflicht!

Tag 10. Tallinn – Riga – (Berlin).

Donnerstag, 17.07.2014


Es ist immer irgendwie dasselbe: die letzte Nacht vor der Heimreise verbringe ich nahezu schlaflos. Ich weiß nicht, warum, aber es zieht sich durch die Jahre. So liege ich auch dieses Mal wieder größtenteils wach, schlafe vielleicht drei bis vier Stunden und mache mich auf den Weg zum Busbahnhof. Es sind noch nicht so viele Menschen unterwegs, wie ich eigentlich annahm. Aber gut, am Busbahnhof dann ist gut Betrieb: zwischen Schlafen und Pfandsammeln, Biertrinken und Frühstücken ist Zeit genug zum Warten auf einen der vielen Busse, die am frühen Morgen Tallinn verlassen.

Punkt sieben geht es los, ich verbringe den Großteil der Fahrt nach Riga eigentlich schlafend. Es gibt Gratis-Kaffee in den Bussen von Luxexpress und das ist genau das Richtige für mich – am Morgen gab es keinen und ein Morgen ohne Kaffee ist ein verlorener Morgen. 

In Riga sehe ich einen vertraut ausschauenden Bus: einen einfachen weißen polnischen Reisebus mit einem Eurolines-Aufkleber. Ja: der gleiche Bus, den ich auch auf der Hinfahrt hatte. Allein der Fahrer ist um einiges verschieden: vielleicht Anfang dreißig, hippen kurzen Bart und fließend englischsprechend. Leger im T-Shirt fährt er den Bus mit einem Affenzahn durch Lettland. Die erste Ansage übrigens, frei übersetzt: Die Toilette ist defekt, aber ich halte eh ständig an, ist also kein Problem. In Polen wechseln wir dann eh den Bus. 

Zwischen riskanten Überholmanövern – Bus vs. LKW, LKW vs. LKW: Hauptsache schneller als der andere – und ruckartigem Gebremse, gefolgt von polnischen Gefluche („kurva!“) läuft wahnsinnig dreckiges polnischen Metalpunkgekloppe von des Fahrers eigenen Kassetten. Er nickt im Takt oder seine Finger trommeln auf dem Lenkrad. Im Bus sind nur wenige Fahrgäste, ein Mann sieht aus wie ein typischer Journalist, entpuppt sich aber als hemmungsloser Trinker, der – bis zum ersten Stop nach knapp zwei Stunden – schon drei Bierbüchsen leerte und in diesem Stil auch den Rest der Fahrt verbringen soll. 

Versuche mir, an verschiedenen Stopps einen Kaffee zu organisieren, doch das ist in Litauen scheinbar unmöglich. Weder meine Kreditkarten werden akzeptiert, noch wollen sie Euro, nur litauische Kronen und davon habe ich keine. Noch dazu versteht mich keiner in diesem Land. Also bleibe ich ohne Kaffee, doch ein Eis konnte ich mit Karte bezahlen und das funktionierte auch. Wenigstens etwas. 

In der Base des Busunternehmens in Polens wechseln wir in einen viel bequemeren Bus. Hier gibt es sogar Beinfreiheit und einen Fernseher, der – zum Glück – noch ausgeschalten ist. Und auf dem Hof wurde außerdem gratis Kaffee und Tee bereitgestellt, endlich also Kaffee und das obwohl die Sonne schon untergeht. Aber die Nacht wird lang. Der Journalist trinkt im Übrigen immer noch und scheint auch überhaupt nicht betrunken zu werden. Vielleicht ist es alkoholfreies Bier, doch das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, aber ich weiß es nicht.

Zwei neue Busfahrer sind in Polen zu uns gestoßen und im Fernseher läuft irgendeine polnische Comedyshow, ich versteh kein Wort. Die letzten Fahrgäste steigen in Warschau zu, es ist mittlerweile tiefe Nacht. Anscheinend ist es okay, auch Tickets in Bar zu bezahlen. Oder die Busfahrer sind einfach leicht bestechlich. Irgendwo mitten in Warschau hält der Bus an einer U-Bahn-Station und der erste Busfahrer steigt mit einem High-Five aus. Soviele skurrile Sachen in polnischen Reisebussen!

Die Nacht vergeht relativ schnell, dank des ganz bequemen Busses kann ich etwas schlafen. Kommen kurz nach sechs schon in Berlin an, ich bringe das Gepäck zum Hauptbahnhof und gehe frühstücken. Spaziere noch etwas durch die gerade erst erwachende Stadt. Bis zum Zug sind es noch ein paar Stunden.

Zehn Tage. Kaum zu glauben, wie die Zeit rast und dann ist man plötzlich schon wieder da. Willkommen, sage ich mir und schön wars und bis bald und Tallinn: du bist schön.